Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zu der Frage geändert, ob ein Schuldner in der Zwangsvollstreckung den gesetzlich geschuldeten Unterhalt oder nur den tatsächlich erfüllten Unterhaltsbetrag als Pfändungsfreibetrag geltend machen kann. Künftig kann sich der Unterhaltsverpflichtete gegenüber einem Unterhaltsgläubiger nur noch auf die an den anderen gleich- oder vorrangigen Gläubiger gezahlten Summen berufen. Erfüllt er seine Pflichten nur teilweise oder gar nicht, kommt ihm dieser Umstand nicht länger zugute.
Ein Vater zahlte den Unterhalt für sein Kind nur unregelmäßig, sodass dieses erst einen Titel erwerben musste, aus welchem es vollstrecken wollte. Sein Vater berief sich im Rahmen des Vollstreckungsschutzes darauf, dass er noch gegenüber einem weiteren leiblichen Kind unterhaltspflichtig in Höhe von 322 Euro sei. Für dieses Kind zahle er insgesamt rund 250 Euro monatlich, 117 Euro an das Jugendamt und 130 Euro an die Mutter. Das Amtsgericht Mainz gewährte ihm keinen Pfändungsfreibetrag für den insgesamt gezahlten Unterhaltsbetrag. Nach einer vergeblichen Erinnerung erhöhte das Landgericht Mainz den Schutz auf die für das andere Kind insgesamt gezahlte Summe. Der Schuldner erhob Rechtsbeschwerde zum BGH. Er forderte die Bestimmung des pfändungsfreien Betrags für das weitere Kind auf 322 Euro monatlich – den gesetzlich geschuldeten Unterhalt für dieses. Der BGH lehnte dies ab.
Nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dem Schuldner von Unterhaltsansprüchen nur noch so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen bedarf. Der VII. Zivilsenat legt diese Norm so aus, dass sich der pfandfreie Bedarf im Hinblick auf die Unterhaltsverpflichtung danach bemisst, inwieweit der Schuldner ihr auch tatsächlich nachkommt. Die Karlsruher Richter billigten dabei die Berechnungsgrundlage des LG, das den Jahresdurchschnitt der tatsächlich gezahlten Unterhaltsbeträge zugrunde gelegt hatte.
Der VII. Zivilsenat gibt diesbezüglich seine bisherige Rechtsprechung auf, weil sie nicht zweckmäßig sei. Da der Gesetzeswortlaut beide Auslegungen zulasse, entschied sich der BGH, nach dem Sinn und Zweck der Norm zu entscheiden: Danach sollen die Unterhaltsgläubiger einen hohen Schutz genießen und ihre Ansprüche im größtmöglichen Umfang realisieren können. Dem widerspricht eine Auslegung, nach der dem Schuldner die Möglichkeit bleibt, einen Teil des gesetzlich geschuldeten Unterhalts nicht zu erfüllen und stattdessen für sich selbst zu verwenden. Sofern er seine Unterhaltszahlungen an das andere Kind auf das gesetzliche Mindestmaß erhöhen möchte, könne er eine Änderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erwirken.
zu BGH, Beschluss vom 18.01.2023 – VII ZB 35/20